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Ein Artikel im Newsletter des Magazins „Altenheim“ im „Vincentz Verlag“, berichtet von einer neuen Umfrage, nach der fast jede zweite Pflegekraft (47%) Konflikte, Aggression und Gewalt in Heimen als Problem ansieht. Auch in meinen Seminaren „Pflege braucht die Selbstpflege“ erlebe ich die Gewalt in der Pflege als Problem. In der geschützten Umgebung der Gruppen- und Einzelgespräche berichten die Pflegekräfte offen über ihre Gefühle, die sie in der oft sehr anstrengenden Pflege überkommen. Die meisten Pflegekräfte sind unerfahren und häufig überfordert im Umgang mit sich selbst in Extremsituationen. Und in der Pflege gibt es oft Extremsituationen!

Ich beschäftige mich seit vielen Jahren in Beratungen und Aufstellungen mit den Zusammenhängen von Gefühlen, ihren Auswirkungen und Erscheinungen in unserem Alltag. Aus diesen Erkenntnissen heraus war es naheliegend, einen Bogen zu schlagen zu einem der brisantesten und aktuellsten Themen unserer Zeit: Der immer wieder aufkeimenden Gewalt in unseren Pflegeeinrichtungen.

 

Gewalt in der Pflege als gesellschaftliches Problem

Wir alle kennen die Berichte, die einen erschaudern lassen. Alte Menschen werden von ihren Pflegern gequält, misshandelt. Behinderte Menschen werden schutzlos in ihren Einrichtungen gedemütigt und bloßgestellt. Durch Zufall oder Undercover Recherche kommen die Missstände ans Tageslicht und erschüttern immer wieder die gesamte Pflegekultur. Man hegt die Hoffnung, die aufgedeckten Fälle seien Einzelfälle. Aber die Realität belehrt uns eines Besseren. Gewalt und Übergrifflichkeiten sind an der Tagesordnung. Niemand kann sich dauerhaft davor verschließen, denn jeder wird eines Tages alt sein und mancher auch pflegebedürftig werden.

Gewalt in der Pflege ist ein unangenehmes Thema einer Gesellschaft, die über den Verstand und durch viele Theorien alles erklären kann, aber in der Praxis mit solchen Themen schlichtweg überfordert ist. Ich weiß, dass sehr viele Menschen, ich würde sogar behaupten jeder von uns, zum Ausleben von machtvoller Gewalt neigen, sobald wir mit einem entsprechenden Gegenüber in Resonanz gehen. Für mich hat dieses Thema viel mit dem Thema der Menschenwürde zu tun. Würde ist für mich ein für jeden Menschen fühlbares Phänomen, das wir in uns tragen, aber auch entwickeln können, indem wir die Zusammenhänge des Lebens erkennen und achten.

 

Gewalt in der Pflege ist Gewalt in uns selbst

Wir alle erleben in unserer Kindheit viele emotionale Ereignisse, die unser unbedarftes Kinderleben beeinträchtigen. All diese Ereignisse, so klein sie auch sein mögen, sind mehr oder weniger traumatisch. Sei es der strenge Papa, der unberechenbare Opa, die wütende Mama oder auch das eifersüchtige Geschwister. Alles was wir in unserem frühen Leben bis ca. zum 5. Lebensjahr an Gefühlen erfahren, speichern wir als Erfahrung und Emotion ab. Im besten Fall nutzen wir es, um zu lernen, es später in unserem Leben aufzuarbeiten und zu reifen, um würdevoll auf unser Leben zurückblicken zu können.

 

Everybodys Darling rastet aus

Auf der Grundlage unserer Erziehung wissen wir ganz genau, wie wir uns verhalten müssen, um möglichst als „Everybodys Darling“ durch die Welt zu kommen. Die alten emotionalen Verletzungen aus unserer Kindheit tragen wir weggepackt, ohne dass wir uns bewusst erinnern, mit uns herum. Sie sind die Basis unserer Gefühlswelt, aus der heraus wir im Alltag reagieren. Wir reagieren lebenslang so, wie wir es als frühe Prägung erfahren haben. Haben wir die Prägung des strengen Vaters, der sowohl in seiner Sprache als auch in seinem Handeln unsere Grenze nicht geachtet hat, haben wir dieses damals erlebte Gewalt- und Machtpotenzial abgespeichert. Meistens können wir es gut verstecken, verdrängen und sind Herr der Lage. Kommen wir aber mit Menschen in Berührung, die sich gerade in einer schwachen Position befinden, wird unser Repertoire angetriggert und unser bisher erfolgreich weggepacktes Gewalt- und Machtgefühl kommt aus der Verdrängung hoch und lebt auf. Wir spüren die Kraft der Macht und genießen es, endlich auch einmal stark sein zu dürfen.

Jeder, der selbst Kinder hat, kennt dieses Gefühl, in entsprechenden Situationen endlich mal die Meinung zu sagen, manchmal sogar zu toben. Gerade noch hatte man sich vorgenommen ruhig und geduldig zu sein. Man wollte niemals so handeln wie die eigenen Eltern. Und schon ist es passiert. Eine bestimmte Aktion des Kindes, eine Provokation, eine Stimmlage. Man steht neben sich und hört sich selbst schreien oder fühlt, wie man zur Gewalt neigt.

 

Innere Verletzung, äußere Aggression

In den neuen Medien, wie Facebook, kommt das Gewalt- und Machtpotential des Einzelnen in den berüchtigten Hasskommentaren zum Ausdruck. Ein weiteres Erscheinungsfeld ist die hohe Aggressivität im Autoverkehr. Hier kann jeder endlich seine aufgestaute Wut rauslassen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In den Büroetagen zeigt sich die Aggression  als Mobbing gegenüber einem Schwächeren. In den Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege äußert sich die Aggression im Umgang mit den Pflegebedürftigen.

 

Opfer und Täter

In der direkten zwischenmenschlichen Begegnung hat dieses Rauslassen der eigenen Wut fatale Folgen. Menschen werden zu Opfern, ohne sich selbst wehren zu können. Aus der heilenergetischen Sicht gibt es jedoch niemals einen Täter, der nicht selbst einmal in seinem Leben ein Opfer war. Und hier schließt sich der Kreis.

Jeder Mensch, jeder Pfleger, der zum missbräuchlichen Täter wird und würdelos handelt, hat selbst die entsprechenden Gefühle des Opferseins erlebt und sie verdrängt. Diese Emotionen werden von den alten, gebrechlichen, hilfsbedürftigen und abhängigen Menschen angeregt. Man ist in solchen Momenten nicht mehr Herr der Lage, hat seine Gefühle nicht mehr im Griff und wird übergriffig. Man lässt sein Gegenüber die Macht spüren und genießt dieses Gefühl, endlich selbst nicht das Opfer zu sein. Wir erleben es tagtäglich und denen, die es betrifft, ist es peinlich.

 

Lösungsmöglichkeiten

Es ist keine befriedigende Lösung, die „Übergriffigen und würdelos Handelnden“ zu entlassen, denn ihr Aggressionspotential kommt woanders erneut zum Ausbruch.

Es ist auch keine Lösung, die Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen in Einrichtungen zu steigern. Auch kann man bei einem Einstellungs- oder Personalgespräch diese Untiefen des individuellen Bewusstseins nicht ergründen.

Die einzige Chance mit diesem Phänomen umzugehen ist, sich seiner selbst bewusster zu werden. Man kann die eigenen emotionalen Belastungen aufarbeiten, daran reifen und seine eigene Würde wiederfinden. Reifen bedeutet in diesem Sinne, Frieden schließen mit den Erfahrungen im eigenen Leben. Den eigenen Sinn erkennen und die Gefühle, mit denen man in Resonanz geht, zu lösen.

„Pflege braucht die Selbstpflege“ heißt das in der Heilenergetik. Man lernt seine eigenen Verletzungen kennen, anerkennen und verarbeiten. Das bedeutet nicht, dass jeder an sich selbst therapeutische Arbeit leisten muss. Vielmehr geht es darum, die Sinnhaftigkeit und die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen. Die eigenen Machtbedürfnisse zu erkennen, die Ursachen zu lösen, um die eigene Würde wieder fühlen zu können.

Warum? Ein Mensch, der seine Würde kennt und fühlt, geht niemals über seine eigenen Grenzen, verletzt niemals einen anderen Menschen, gleich ob emotional oder körperlich. Pflege braucht die Selbstpflege ist ein zentraler und unverzichtbarer Ansatz!

Hierzu gibt es für jede Einrichtung maßgeschneiderte Seminare, die der Führungsebene und den Pflegekräften den Zugang, aber auch effektive Umgehensweisen mit dem Themenkomplex eröffnen. Die Argumente, dass eine solche Arbeit zu zeit- und kostenintensiv ist, um sie in Pflegeeinrichtungen umzusetzen, stimmen nicht. Den Erfahrungen nach, haben die Seminare eine nachhaltige Wirkung auf die gesamte Personalpolitik. Die Fluktuation von Personal und die Krankmeldungen nehmen auffällig ab. Von vielen Teilnehmern gibt es die Rückmeldung, dass sich die eigene Einstellung zum Menschen und zu der Arbeit vollkommen verändert. 
Mehr zum Seminar Pflege braucht die Selbstpflege.

 

Eine Anregung zum Selbstexperiment:
  • Wenn Sie selbst in die Situation kommen sollten, aggressiv zu reagieren, treten Sie einen Schritt zurück.
  • Schauen und fühlen Sie, wann und wer die Ursache in Ihrem Leben für dieses Gefühl gesetzt hat.
  • Erkennen Sie, dass Ihr aktuelles Gegenüber nur der Auslöser, aber niemals die Ursache für Ihr Gefühl ist.
  • Schauen Sie sich die ursächliche Situation an und machen Sie sich bewusst, dass diese Situation vermutlich viele Jahre her ist. Jetzt sind Sie erwachsen. Ihr Gegenüber ist ein anderer Mensch im Jetzt.

Ich wünsche viel Erfolg und freue mich über Rückmeldungen und Anregungen.

Ihre
Stefanie Menzel

 

Stefanie Menzel, Jahrgang 1959, ist als Autorin und Seminarleiterin selbständig tätig. Sie begründete die Erkenntnismethode „Heilenergetik“, die Sinnanalytische Aufstellungsarbeit und die Seminarreihe „Pflege braucht die Selbstpflege“. Sie ist Mitglied der Eden Alternative Deutschland.

Weitere Informationen:

www.stefanie-menzel.com

www.eden-alternative.de

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